Jeden Morgen beim Brötchenholen stehe ich an der gleichen Ampel. Neulich pappte ein neuer Aufkleber dran.
Irgendwie mal was anderes als die übliche flüchtige Katze, der nächste Anti-Nato-Protest oder „suche zwei Zimmer mit Bad“.
Länger hingeschaut habe ich wegen der Kombination aus „anybody can be anybody“ und „Psychologie“. Das erinnerte mich daran, dass eine Maskierung manchmal gehemmten Menschen helfen kann, aus sich herauszukommen oder ihre Meinung zu sagen. Anonymität und Rollenspiel schaffen eben nicht nur ein Paradies für Feiglinge, sondern auch eine Schutzzone für Schüchterne.
Also was steckt nun hinter dem Zettel?
Werbung für ein Buch und ein Therapieangebot, der Aufkleber propagiert die so genannte Würfeltherapie.
Sie geht davon aus, dass jeder Mensch das Potenzial hat, unterschiedliche Persönlichkeitstypen auszuleben. Handlungsentscheidungen konsequent Würfeln zu überlassen, soll deshalb Personen helfen, die in engen Handlungsmustern gefangen sind und deshalb keinen Zugang zu den Möglichkeiten ihres Ichs haben.
Eine „Erfolgsgeschichte“ auf der Seite „Spiel mit dem Zufall“ berichtet denn auch von einem Kellner, der auf Jobsuche geht und vor jedem Lokal, auf das er trifft, die Würfel befragt, ob er hineingehen und nach einer freien Stelle fragen soll. Natürlich gerät er so an ein Restaurant, in das er sich ohne Zufallsentscheid nie hineingetraut hatte, und wird glücklich.
Irgendwie ein seltsames Konzept. Aber es zeigt immerhin, dass viele Menschen einem „Spiel“ mit ihrer Identität positive Seiten abgewinnen.