Wenn das kein guter Grund ist, diesen Blog wiederzubeleben! Ich weiß jetzt, dass ich biometrisch schlecht verwertbar bin, dem Kreisverwaltungsamt München sei Dank. Und mein wichtigstes Erkennungszeichen, meine Unterschrift, muss ich aus rein formalen Gründen verändern.
Ob ich mir jetzt verlorengehe?
Die Geschichte beginnt im späten August. Mein Reisepass ist abgelaufen, der Personalausweis schon lange, also brauche ich beides neu. Vor dem Besuch beim zuständigen Bürgerbüro gehe ich zu einem „richtigen“ Fotografen, damit das Passfoto nicht wieder zur Lachnummer für die nächsten 10 Jahre wird. Die Fotografin ist gut, das Ergebnis gefällt mir.
Der Dame beim Kreisverwaltungsamt ebenfalls, jedenfalls akzeptiert sie das Foto sofort. Meine Unterschrift auch. Meinen Fingerabdruck ebenfalls. Den allerdings will ich nur dort gespeichert wissen, wo es unbedingt nötig ist.
Am Ende noch alles bezahlen – und ab in die Wartezeit.

Biometrieverwirrende Frisur von Adam Harvey
Wochen später kommt dann ein Brief. Aber nicht etwa mit der Mitteilung, Pass und/oder Ausweis seien fertig, sondern mit dem Hinweis, weder meine Unterschrift noch mein Bild seien bei der Bundesdruckerei verwertbar. Ich möge bitte mit neuem Bild erscheinen und neu unterschreiben. Sollte ich nicht reagieren, werde der Antrag storniert, ich möge für diesen Fall doch bitte meine Kontonummer zwecks Rücküberweisung der Gebühren bekanntgeben.
Ein kurzer und durchaus freundlicher E-Mail-Dialog mit der Mitarbeiterin beim Amt bringt Licht ins Dunkel. Bei meiner Unterschrift haben sich über die Jahre die Zeichen des Vornamens zu einem Schnörkel verschliffen, der jetzt wie der real existierende Vorname „Jos“ aussieht. Das akzeptiere das Passamt nicht. Die Dame schlägt vor, auf „J.“ auszuweichen. Überhaupt sei der Punkt bei abgekürzten Namensteilen wichtig. Was das Bild betrifft, so sei allerdings wohl nur etwas beim Scannen schiefgegangen, ich dürfe gern mit dem selben Foto noch einmal kommen. Selbstverständlich ohne eine Nummer zu ziehen und dann wieder stundenlang zu warten.
Überhaupt sei hier, um Missverständnissen vorzubeugen, kurz eingeschoben, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kreisverwaltungsamts (KVR) in München den ganzen folgenden Kasus und mich selbst ebenso kompetent wie zuvorkommend behandelt und dabei auch so manches Mal ihren Kopf geschüttelt haben. An Ihnen liegt’s nicht, der Wurm steckt im System.
Ich bin also wieder vor Ort. Ich frage nach, wie es denn sein könne, dass ich die seit Jahren praktizierte Unterschrift nun ändern müsse und welche Konsequenzen das für anderswo hinterlegte Unterschriftsproben haben könne. Eine völlig unleserliche Unterschrift würde doch auch akzeptiert. Ich zeige der KVR-Mitarbeiterin meine Gesundheitskarte und eine Kreditkarte, beide mit dem vermeintlichen „Jos“ darauf, dem Stein des Anstoßes.
Die Dame geht damit noch einmal zum Chef. Aber das ändert nichts: Das „Jos“ bleibt formal unzulässig. Aber ich müsse in Zukunft sicherlich nur bei hoch offiziellen Unterschriftsleistungen wie beim Notar darauf achten, ebenfalls „J.“ zu kritzeln, gibt man mir zu verstehen.
Das nehme ich erst einmal zur Kenntnis, probe ein paarmal mein neues „J. Wiele“ und hinterlasse es dann für Pass und Personalausweis im System.
Dann geht es an das Problem „Bild“. Die Mitarbeiterin bestätigt, dass es korrekt angefertigt wurde, und liest es noch einmal ein. Aber wieder zeigen sich Schwierigkeiten: Das System akzeptiert es im zweiten Anlauf diesmal immerhin für den Ausweis, aber nicht für den Pass. Der Mund sei ja offen, meint die Bilderkennung. Ist er aber nicht. Wir starren zu zweit ratlos auf das Foto. Und mir dämmert angesichts dieser Fehlinterpretation ein Verdacht.
Ich bin mit meinen westfälisch-irischen Wurzeln blond, hellhäutig und blauäugig und inzwischen ein paar Jahre über die 50 hinaus. Dieses Passfoto ist das erste, auf dem auch ein weißblonder Dreitagebart zu sehen ist, der die Lippenkonturen ein wenig verschleiert. Helle Haut, heller Bart, helle Lippen, helle Haare – da gehen der biometrischen Erkennung wohl die Ankerpunkte verloren. „Könnte sein“, meint die Dame von KVR. Jetzt werde ich zum ersten Mal leicht ungehalten: „Soll etwa ich mich verändern, damit diese Maschine mich erkennt? Soll ich mir womöglich ab jetzt die Lippen schminken? Den Bart abrasieren?“
Meine Gesprächspartnerin findet das auch nicht richtig und probiert noch ein paarmal, ob sich die Systemantwort durch Neuscannen ändern lässt. Klappt aber nicht.
„Das muss durch“, befindet sie schließlich und sendet den Antrag trotz Bildwarnung ab. Auf das Ergebnis sind wir jetzt beide gespannt. Und wenn das Bild nun akzeptiert wird – was macht dann in Zukunft zum Beispiel die Flughafenbiometrie mit mir? Ich fühle mich immerhin genötigt, den Fingerabdruck nun in Pass und Ausweis aufnehmen zu lassen. Eigentlich nicht richtig, aber Reiseprobleme möchte ich bei meinem Job doch tunlichst vermeiden.

Biometriestörendes Kleidungsmuster, ebenfalls von Adam Harvey
Ein paar Anmerkungen dazu.
Anmerkung 1: Ich bin nun wahrlich nicht unbedingt derjenige Typ, der Biometrie von vornherein und aus Prinzip ablehnt. Aber sie wird zur fragwürdigen Sache, wenn sie Menschen ihres Aussehens wegen benachteiligt. Gewisse Zweifel an der Praxistauglichkeit dürfen dann wohl erlaubt sein, zumal für den Einsatz in einem derart sensiblen Bereich. Was keinesfalls in Frage kommt, ist, das eigene Aussehen biometriegerecht zu modellieren.
Anmerkung 2: Dass die deutsche Bundesdruckerei ausgerechnet mit heller Haut und blonden Haaren Probleme bekommt, ist per se ein netter Witz. Vor allem zu einer Zeit, in der Politiker wieder fremdenfeindliche Stammtischparolen auspacken, zunehmend unangenehm deutschtümeln und zugleich Ewiggestriges über die innere Sicherheit faseln. Apropos: „In Deutschland zeigen wir unser Gesicht!“. Mach ich ja, hilft aber nix. Immerhin spare ich mir die Investition in biometriestörende Frisuren und Kleidung (siehe Bilder), bei mir ist die Gesichtserkennungsabwehr schon eingebaut. Für einen Menschen, der ein Faible für Masken und Anonymitätstheorien hat und auch noch als Datenschützer agiert, ist das doch ein ganz tolles Ding.
Anmerkung 3: Dass man aus formalen Gründen plötzlich ein jahrelang bewährtes Mittel der Identifizierung – die Unterschrift – verändern und damit schwächen muss, ist interessant. Hier treffen Aspekte der Lesbarkeit auf solche der eindeutigen Wiedererkennung – das müsste mal jemand separat professionell durchdenken.