Mehr Bilder…

Bauta und Tabarro – die Anonymitätskultur der Venezianer ist uns so fremd, dass mehr Bilder von Bauta-Trägern sicher hilfreich wären, um einen intuitiven Zugang zu finden. Alte Gemälde habe ich hier und da verlinkt, aber was hilft das schon? Wir sind Fotos und Videos gewöhnt, um uns ein persönliches Bild von einer fremden Sache zu machen.

Aber das ist nicht einfach: Sicher laufen im heutigen Karneval in Venedig hier und da Personen herum, die die traditionelle Bauta-und-Tabarro-Verkleidung als ihre Maske wählen. Nur gibt es davon selten Fotos, weil andere Masken den Fotografen viel phantasievoller und attraktiver erscheinen.

In den vergangenen Tagen habe ich eine ganze Reihe von Foto-Plattformen nach aktuellen Bildern von Bauta-und-Tabarro-Trägern durchsucht. Die Ausbeute war gering – aber schön. Ein Bild habe ich bereits in den „Gentlemen“-Beitrag eingefügt, weil es dort so gut hineinpasst.

Zwei weitere Bilder mag ich Ihnen nicht vorenthalten.

maschera bauta ducale 9081/8

Quelle: fotolia.com, missiaja

Ein wenig zu theatralisch? Aber so soll die Verkleidung ja wirken, sie ist Teil eines Spiels! Das nächste Bild wirkt nüchterner.

White bauta

Quelle: fotolia.com, dagmenico
 

Ein neutrales Anonymisierungsmittel ist die Bauta aber nie. Zusammen mit dem Umhang strahlt sie immer eine gewisse Eleganz und Noblesse aus – was sie ja auch soll.

Anonymität und Denunziation

Venedig war nicht nur eine Stadt der Anonymität, sondern auch ein Ort der Denunziation. Am Dogenpalast und anderen Plätzen der Stadt waren spezielle Briefkästen installiert, die “Löwenmäuler” (Bocca di Leone).

Venedig_BW_1

Sie waren dazu vorgesehen, unterschiedlichste Beschwerden an die Staatsmacht zu richten. Sie dienten dabei auch dazu, dass  Venezianer andere Venezianer möglichst leicht gegenüber der Obrigkeit anschwärzen konnten. Jeder Denunziant konnte darauf zählen, dass seine Identität geheimgehalten wurde, anonyme Anzeigen allerdings fanden nur in schwerwiegenden Ausnahmefällen Beachtung. Verfolgt wurden die Anschuldigungen von der Staatsinquisition und dem “Rat der Zehn”, der zeitweise oberste Polizeibehörde und oberstes Gericht zugleich war.

Waren Bauta und Tabarro vielleicht auch ein Instrument, um ein Gegengewicht gegen das Denunziantentum und besonders neugierige, schwer zu kontrollierende Institutionen der Staatsmacht zu schaffen?

Dafür müsste man zunächst einmal Belege suchen. Wäre es der Fall, dass die Venezianer diese Verbindung sahen, steckte darin eine interessante Parallele zur heutigen Internetwelt. Die Forderung nämlich, sich im Internet anonym bewegen zu können und zu dürfen, beruht ja nicht zuletzt auf dem Gefühl der Netznutzer, von allzu vielen staatlichen und kommerziellen Lauschern auf Schritt und Tritt überwacht zu werden. Technisch gewährleistete Anonymität soll aus ihrer Sicht ein Mittel gegen das Ungleichgewicht der Kräfte zwischen den mächtigen spionierenden und Profile bildenden Organisationen und den unbescholtenen Bürgern im Netz bilden.

Wie bekommt man nun heraus, ob die Venezianer tatsächlich so dachten? Gibt es mehr Belege, dass zu viel Überwachung die Forderung nach Anonymität als Regulativ nach sich zieht – wie jetzt wieder nach der Aufdeckung des Datenhungers der westlichen Geheimdienste? Interessantes Forschungsthema, eventuell gibt es ja schon Arbeiten dazu.

Edward Snowdon jedenfalls ist aus dieser Perspektive eine Art „umgekehrter Denunziant“ oder Whistleblower – er hat Missstände nicht einer etablierten Institution, sondern dem eigentlichen Souverän der westlichen Welt, also den Wählern in demokratischen Staaten gemeldet. Interessante Konstellation!

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Rollenspiel: Die symbolische Maske

Ein Aspekt, den ich bei Toscani (siehe Quellen, S. 223-225) bisher immer überlesen hatte: Ganz zum Ende der Zeit, in der die Venezianer sich der Bauta-und-Tabarro-Verkleidung bedienten, änderte sich der Gebrauch. Erst wurde der Ausschnitt für die Augen wurde immer größer, dann wurde die Maske immer kürzer. Irgendann konnte sie den ursprünglichen Zweck, den Träger unkenntlich zu machen, nicht mehr erfüllen.

Schließlich, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gingen die Venezianer sogar noch einen Schritt weiter: Sie klemmten die Bauta in die Falte des Dreispitz oder schoben sie zwischen Schläfe und Hut. Am Ende zeigten sie nur noch durch eine weiße Spielkarte an, dass sie als „maskiert“ zu gelten hatten.

Und genau das wurde dennoch respektiert. Die Übernahme der Rolle, der Übergang in ein „zweites Leben“, fand symbolisch statt, und die anderen Venezianer spielten das durchaus ästhetische Spiel eines fließenden Wechsels zwischen zwei sozialen Existenzformen mit.

Für die hier diskutierte Phase, in der Bauta und Tabarro echte Anonymisierungsmittel waren, ist die Zeit der „symbolischen Maskierung“ nicht mehr so interessant. Sie zeigt aber, wie stark und wichtig in diesem Modell der Rollenspiel-Aspekt immer gewesen sein muss.

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Signora Maschera war ein Gentleman

Offenbar hielt sich der Missbrauch der venezianischen Gesellschaftsmaske immer in einem sozial erträglichen Rahmen, sonst hätten die Venezianer an ihr nicht festgehalten bis schließlich die Österreicher in Italien einmarschierten und die Politik und Kultur der Inselstadt grundlegend änderten. Ein kleines Rätsel ist es dabei schon, dass das Anonymisierungsmittel “Bauta” so gut funktionierte, denn eine Gelegenheit zum anonymen Handeln bedeutet immer auch eine Versuchung zu antisozialem, egoistischem Verhalten. M.E. Kabay etwa verweist in Anlehnung an die Deindividuationstheorie darauf, dass praktische Anonymität Unhöflichkeit, Unehrenhaftigkeit und aggressives Benehmen fördern kann und der Selbstreflexion entgegenwirkt (seinen Essay finden Sie unter den Quellen).

Ich habe schon erwähnt, dass einer der Gründe für die geringe, durchaus tolerierbare Missbrauchsrate der Bauta in der Tatsache begründet liegt, dass die Venezianer als Maskenträger den Regeln und Erwartungen der Gesellschaft eben nicht entgingen. Außerdem konnten, was allerdings eine extreme Maßnahme gewesen sein dürfte, im Fall der Fälle recht einfach demaskiert werden. Man sollte vielleicht aber noch etwas bedenken, wenn man sich fragt, warum die Venezianer auch als Maskenträger ihre guten Manieren behielten: Mit dem Anziehen der Bauta verließen sie ihre individuelle Existenzform und spielten stattdessen die Rolle eines idealtypischen Stadtadeligen.

Bauta - Carnevale Venezia 2011

Bild: Fotolia.com, Gloria Guglielmo
 

Die Rolle der „Signora Maschera“ war nicht nur, wie schon erwähnt, generischer Natur und vordefiniert, sondern verlangte auch, sich im Verhalten dem idealisierten Modell eines noblen Patriziers anzunähern. Hier gibt es sicherlich Parallelen zu alten Vorstellungen vom „perfekten Gentleman“ mit seinem perfekten Stil und ausgefeilten Manieren. Bei Karbe und Toscani (siehe Quellen) finden sich Hinweise darauf, dass sich venezianische Bauta-Träger bewusst höflich und ritterlich gaben und dass sie Wert darauf legten, sich in der Maske elegant zu bewegen und auch in ihrer Kommunikation mit den Mitbürgern so elegant wie möglich zu wirken.

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Gedanken über Privatsphäre und Datenschutz

in seinem Blog www.metaphorous.com hat Wilhelm Greiner 2010 ein paar interessante Gedanken über Privatsphäre und Datenschutz im Zeitalter der sozialen Medien veröffentlicht. Später verschwand der Blog aus dem Web, aber das Internet-Archiv bewahrt ihn in der Wayback-Machine auf. Der Eintrag findet sich hier. Aus Wilhelms Sicht gibt es für eine Person, die datenschutzbewusst agiert, vier mögliche Haltungen zu den modernen sozialen Medien:

  1. „Lifecasting“ – ich, mein Leben und alles damit Verbundene soll online sein. Selbstmarketing ist wichtiger als die Privatsphäre.
  2. Völlige Ablehnung – über mich soll online niemals etwas zu finden sein. Privatsphäre und Datenschutz gehen mir über alles.
  3. Genaue Kontrolle bis ins Detail  – jedes Bit, das etwas über mich aussagt, unterwerfe ich einer Risikoabwägung, bevor ich es im Internet veröffentliche.
  4. Mein Social-Media-Stream als permanente Bewerbung – wann immer ein potenzieller Arbeitgeber Informationen über mich findet, soll er den richtigen Eindruck bekommen.
  5. Rollenspiel oder “Alias”-Modus – ich stelle sicher, dass mein Online-Leben so wenig wie möglich mit meinem realen Leben übereinstimmt.

Ich bin mit diesen Kategorien einverstanden. Vor allem, wenn ich in Betracht ziehe, dass Kombinationen aus den Haltungen möglich sind. Wilhelm erwähnt bereits, dass Haltung 5 mit den Haltungen 3 und 4 kombiniert werden kann, aber meiner Meinung nach passt sie auch zu Haltung 2. So kann es sein, dass Web-Bürger, die anonym an Imageboards wie 4chan oder krautchan teilnehmen, Bewohner von virtuellen Welten, oder Spieler von Multi-Player Online-Games niemals irgendwelche Informationen über ihre realen Identitäten auf Web-2.0-Plattformen wie LinkedIn, Xing oder Facebook preisgeben. Hier gibt es durchaus Berührungspunkte zum Umgang der alten Venezianer mit ihrem realen Leben. In ihrer kleinen, aber lebhaften und multikulturellen Stadt im Meer, im ständigen Umgang mit Handelsleuten und Piraten aus jedem Winkel der noch immer nicht vollständig erforschten Welt, entwickelten sie das Konzept eines anonymen Lebens neben der öffentlichen Existenz. Wenn sie die Bauta trugen, spielten sie eine Rolle, die allerdings vordefiniert und generisch war. Offenbar funktionierte das sehr gut. Jeder, der sich in der Bauta-Verkleidung zeigte, wurde als Mitbürger akzeptiert und mit “Signora Maschera” angeredet. Vielleicht ergibt dies eine sechste Haltung zum Thema Privatsphäre, über die man nachdenken muss. Übrigens heißt auf Krautchan jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin „Bernd“. Auch das ist spannend, wenn man an „Signora Maschera“ denkt.

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Fragen von Teilnehmern der EIC 2010

Während der European Identity Conference 2010 in München präsentierte ich ein paar erste Gedanken zu diesem Projekt. Der Vortrag brachte eine lebhafte Diskussion in Gang. Einige der Fragen der Teilnehmer werden mit Sicherheit für die weiteren Überlegungen zum Thema von Interesse sein:

  • Venedig war eine vergleichsweise kleine Stadt. Funktioniert ein Anonymitätskonzept wie das, welches sich mit der Bauta verbindet, vielleicht nur in einem (nahezu) geschlossenen System wie dem der venezianischen Gesellschaft?  Ist das Internet eher ein geschlossenes oder ein offenes System? Vielleicht hat das Bauta-Konzept ja mehr mit den Anonymitäts- und Pseudonymitätskonzepten von Plattformen wie den Imageboards im Web zu tun als mit dem Internet insgesamt.
  • War die Bauta wirklich ein gutes Mittel, um Anonymität herzustellen? Immerhin konnte der Träger damit schwerlich Größe, Gewicht und Stimme verstecken.
  • Wenn irgendetwas schief ging, konnte man einen Maskenträger leicht demaskieren. Ist diese Maßnahme bei einem Internet-Anwender nicht ungleich schwieriger durchzuführen?
  • Um ein Anonymisierungsmittel wie die Bauta zu entwickeln, müssen die Venezianer die Notwendigkeit dazu verspürt haben. Wenn man einmal annimmt, dass sich die meisten Internet-User im Web heute nach wie vor mehr oder weniger anonym fühlen, könnte dies nicht der Grund für das aktuell allgemein geringe Interesse an Internet-Anonymisierungsverfahren sein?
  • Die Bauta gab ihrem Träger die Identität eines echten venezianischen Bürgers, ohne allzu viele persönliche Details zu offenbaren. Könnte man den neuen deutschen digitalen Personalausweis und vergleichbare Identifizierungsmittel auf diese Weise benutzen?
  • Wenn notwendig, konnte ein Venezianer gezielt immer ein bisschen mehr von seiner Identität offenbaren, indem er Teile der Maske abnahm. Lässt sich auch das in die Internet-Umgebung übertragen?
  • Kann das reale Umfeld Venedigs wirklich mit einem virtuellen wie dem Internet verglichen werden?

Viele wertvolle Fragen – besten Dank dafür an die Teilnehmer der Konferenz!

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